Bodo Rasch sen.

Ein architektonischer Visionär, der seiner Zeit voraus war

Design und Architektur liegen seit Jahrzehnten im Blut der Familie Rasch. Immer getrieben von der Idee, das Leben für Menschen angenehmer zu gestalten, wurden seit jeher unterschiedlichste Konzepte und Designs in den verschiedensten Bereichen entwickelt, die die Architektur zu bieten hat. Der Einbezug der bestehenden Umgebung und der Bedürfnisse von Kunden und „Nutzern“ gepaart mit Zukunftsvisionen prägte stets die Denkweise und Ideenfindung in der Familie. Bereits vor vier Generationen begann die Reise in der Branche, die viele Nachkommen inspiriert hat, den selben Weg einzuschlagen. Wir blicken zwei Generationen zurück in das Leben von Bodo Rasch sen., der unbekannterweise viel für die Architekturgeschichte geleistet hat.
Heinz Rasch (1902-1996), Bodo Rasch (1903-1995)

Die Brüder Rasch

Bodo Rasch sen., geboren 1903, studierte eigentlich Agrarwissenschaften an der Universität Hohenheim in Stuttgart. Auch inspiriert durch seinen älteren Bruder Heinz Rasch, einem Architekten und Möbeldesigner, entwickelte er neben seinem Studium Interessse auf dem Fachgebiet der Architektur. Die beiden Geschwister gründeten 1926 das Bauatelier „Brüder Rasch Hochbau, Möbelbau, Werbebau“. Es folgten unzählige Entwürfe und Konzeptideen, von denen jedoch nur sehr wenige tatsächlich umgesetzt wurden. Die wohl bekanntesten Entwürfe waren Hängehauser, die über viele Etagen hinweg Wohnraum, Bürokonzepte und Geschäfte des täglichen Bedarfs vereinen sollten. Die Aufhängung der Häuser war an einem Stahlmast vorgesehen. Dieser sollte als einziges Element im Fundament verankert werden und somit nur minimal Bodenfläche beanspruchen, welche dadurch für anderweitige Nutzung zur Verfügung stünde.

Hängehäuser

Vertikales Baukonzept zur Beanspruchung von möglichst wenig Bodenfläche

Nur ein Jahr später, 1927, haben die Brüder bei der Weissenhofsiedlung in Stuttgart mitgewirkt, die im Zuge der Werkbund-Ausstellung „Die Wohnung“ errichtet wurde. Im zentralen Wohnblock des Leiters des Projektes, Mies van der Rohe, haben sie ein Appartment entworfen und eingerichtet. Im Fokus des Designs stand ganz im Sinne einer neuen Welt der Architekturmoderne der maximale Nutzen und rationale Gebrauchswert der Wohnfläche und weniger das Aussehen. 1979 initiierte Bodo Rasch sen. die Gründung des Vereins „Freunde der Weißenhofsiedlung e.V.“, die die Siedlung als Denkmal einstufen und schützen lassen wollte. Unter anderem gemeinsam mit Frei Otto teilte er sich deren Vorsitz; das Vorhaben war erfolgreich. Heute ist die Siedlung ein weltweit anerkanntes Architekturdenkmal für modernes und funktionales Bauen, wovon Teile inzwischen UNESCO-Weltkulturerbe sind. Der Verein besteht noch immer, kümmert sich um die Instandhaltung der Siedlung und erzählt ihre Geschichte und Bedeutung für die Architekturhistorie im Weissenhofmuseum und im Rahmen verschiedener Kulturveranstaltungen.

Weissenhofsiedlung in Stuttgart

Teile der Siedlung sind heute UNESCO-Weltkulturerbe

Nach der privaten und beruflichen Trennung der Geschwister setzte Bodo Rasch sen. mehrere kleine Projekte wie Wohn- oder Geschäftshäuser um. Zudem war er einer der Impulsgeber für die Kochenhofsiedlung. Diese entwickelte sich nach Übernahme des Projektes durch den Architekten Paul Schmitthenner zu einem architektonischen Gegenentwurf zur Weißenhofsiedlung. Im Vordergrund stand unter der neuen Projektleitung die Gestaltung im Sinne traditioneller Architektur mit vielen Elementen aus Holz. Realisiert haben dieses Projekt vornehmlich Architekten aus dem Raum Stuttgart.

Bodo Rasch sen. gehörte bereits in den 1920er Jahren zu den jungen Vertretern der Avantgarde; durch seine Hochzeit mit der Malerin Lilo Rasch-Nägele 1940 war er noch stärker in die Stuttgarter Kunstszene involviert. Während der Zeit des Nationalsozialismus erfolgte ein beruflicher Einbruch, da hier die Auffassung und Einstellung zur Architektur stark verändert war. Nach dem Ende der politischen Bewegung widmete er sich wieder der Architektur und war unter anderem am Wiederaufbau des deutschen Hauses in Stuttgart beteiligt.

Deutsches Haus in Stuttgart

Vor, während und nach dem zweiten Weltkrieg. Bildquelle: Wilhelm Kick: Festgabe Zur Feier Des XXVjähr. Bestehens Des Architekten-Vereins Der Technischen Hochschule Zu Stuttgart. Stuttgart 1894. S. 57, Tafel 24.

Daneben entwickelte er die Entwürfe der Hängehäuser weiter und beschäftigte sich mit dem Themenfeld der Containerarchitektur. Eines seiner Herzensprojekte war jedoch die Planung der sogenannten Großrelais – ein Projekt zur städtebaulichen Optimierung von Verkehrsknotenpunkten in und um Stuttgart. Trotz oder vielleicht gerade wegen des zu dieser Zeit sehr visionären Ansatzes und moderner, zugrunde liegender Denkweisen folgte jedoch auch hier keine bauliche Umsetzung. Die Entwürfe wurden unter damaligen Gegebenheiten schlichtweg nicht verstanden und die Notwendigkeit wurde nicht erkannt. Der grundlegende Gedanke hinter der Projektentwicklung ist dabei heute aktueller denn je: Schon damals erkannte er, dass Bodenfläche immer kostbarer wird und intelligenter genutzt werden muss, weswegen die Großrelais als Verdichtungszone konzipiert wurden. Vertikale Konzepte vereinten Bahnverkehr, Park-and-ride Zonen, Fußgängerebenen, Büroräumlichkeiten, Wohnflächen und Einkaufsmöglichkeiten. Überbaute Bahnhöfe sollten als Bereiche dienen, an denen Menschen täglich notwendige Wege innerhalb kürzester Zeit zurücklegen können und wo alles auf engstem Raum vereint ist. Als Konstruktionen zur Beherbergung dieser Flächen waren die bereits entwickelten Hängehäuser vorgesehen. Diese wurden unter anderem gemeinsam mit dem Institut für leichte Flächentragwerke an der Universität Stuttgart entwickelt, geleitet von Prof. Frei Otto. Ein unschlagbarer Vorteil der Hängehäuser war die gegebene Höhe bei sehr geringer beanspruchter Bodenfläche, wodurch das umliegende Gelände für Verkehrsinfrastruktur genutzt werden konnte. Die Autonutzung sollte dabei weitestgehend minimiert werden, als Fortbewegungsmittel der Wahl waren öffentliche Verkehrsmittel vorgesehen – die unterschiedlichen Fortbewegungsarten sollten sich dabei optimal ergänzen. Der Gebrauchswert und die Praktikabilität standen bei der Projektplanung im Vordergrund.

Grossrelais

Projekt zur städtebaulichen Optimierung von Verkehrsknotenpunkten

Grossrelais

Projekt zur städtebaulichen Optimierung von Verkehrsknotenpunkten

Bodo Rasch sen. Beitrag zur Geschichte der Architektur blieb weitestgehend unbekannt. Katharina Stolz, Geisteswissenschaftlerin und Hochschuldozentin für Architekturgeschichte, hat sich im Rahmen ihrer Dissertation intensiv mit seinen Werken beschäftigt. Wir hoffen, dass sein Einfluss und seine Entwürfe in der Architekturszene und darüber hinaus dadurch an Bedeutung und Anerkennung gewinnen.